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Kolumne 17

Ich habe endlich ein paar Farbbänder für meine Schreibmaschine bekommen, also bin ich in der Lage, etwas mehr zu schreiben. Ich möchte noch einmal über das Justizsystem sprechen. Allerdings ist das ein Thema, das nicht einfach zu behandeln ist, da viele Unwägbarkeiten mitspielen. Als ich mich entschloß, darüber zu schreiben, habe ich mir vorgestellt, daß ich, anstatt aufzuzählen: Du wirst festgenommen, bekommst einen Rechtsanwalt für Deinen Fall zugeteilt etc . . ., eher über Geschehnisse sprechen sollte, die ich selbst erlebt habe und über verschiedene Anekdoten in Zusammenhang mit dem Justizsystem. Hoffentlich werdet Ihr verstehen können, was ich schreibe, auch wenn ich etwas hin- und herzuspringen scheine, aber ich denke, dies ist der beste Weg über so einen komplizierten Vorgang zu sprechen.

Das Justizsystem betrifft nicht nur die Auswahl einer Jury und die Gerichtsverhandlung. Stattdessen stellt es eine Anhäufung von Dingen dar, die während des Vorgangs, der zur Verhandlung führt, geschehen müssen. Die meisten Leute scheinen die Einstellung zu haben, daß "Du einen fairen Prozeß hattest, wenn es ein Schwurgerichtsverfahren war".Theoretisch hört sich das gut an, aber die Realität ist völlig anders, wenn Du nicht die nötigen Mittel hast, um Dich selbst zu verteidigen, einen privaten Ermittler und Sachverständige der verschiedenen forensischen Wissenschaften einzustellen, und Du nicht einmal das Geld hast, um auch nur die grundsätzlichsten Dinge zu bezahlen, die zur Vorbereitung einer Verteidigung nötig sind, während andererseits der Staatsanwaltschaft unbegrenzte öffentliche Mittel zur Verfügung stehen und der Zugang zu zahllosen Quellen, die sie gegen Dich nutzen können. Ich habe sogar davon gehört, daß die Anklagevertretung ein "vorläufiges Honorar" (retainer) an verschiedene forensische Sachverständige zahlte, nicht, um bei Bedarf diese Experten für einen Fall in Anspruch zu nehmen, sondern um zu verhindern, daß die Verteidigung sie in einer Verhandlung nutzen konnte. Ich weiß, daß die Allgemeinheit so etwas nicht kümmert. Schließlich ist es ja so, daß, sobald jemand eines Verbrechens angeklagt und dann doch für unschuldig befunden wird, die Medien darüber zu wüten und zu lamentieren beginnen, wie denn das geschehen konnte. Zu schade, daß sie nicht darüber lamentieren und wüten, wie sehr das Justizsystem auf Verurteilung ausgerichtet ist, ohne Rücksicht auf Schuld oder Unschuld. Es ware schön, wenn es in einem "fairen Prozeß" nur um die Auswahl der Jury ginge und darum, sie den Ausgang entscheiden zu lassen, aber so funktioniert es nicht. Letztendlich geht es um Geld und darum, wieviel Du für Deine Verteidigung bezahlen kannst.

Ein Brief, den ich vor einiger Zeit (von jemandem in einem anderen Land) erhielt, hat mich schmerzlich amüsiert. Er erzählte, wie traurig es sei, daß in Amerika, welches doch als "Land der Freien" angesehen wird, der Angeklagte beweisen müsse, daß er unschuldig sei. (Dieser Bekannte sprach über eine Sendung über jemanden, der in den USA wegen etwas verhaftet wurde, und schon wurde er durch unsere Medien verurteilt - dies war jedenfalls sein Eindruck nach dem, was er gesehen hatte.) Er fuhr damit fort, wie überlegen das Justizsystem seines Landes sei, da eine Person so lange als unschuldig gelte bis das Gegenteil bewiesen sei. Es hat mich einige Zeit gekostet, ihm zu erklären zu versuchen, daß theoretisch unser System genauso sein sollte, daß die Realität aber doch so aussieht, daß die Unschuldigen ihre Unschuld beweisen müssen. Ich fand es paradox, daß jemand aus einem anderen Land darüber sprach, wieviel besser das Justizsystem dort sei, da es von der Unschuldsvermutung ausgehe, wo doch davon ausgegangen wird, daß die Unschuldsvermutung eine der Grundlagen unseres Justizsystems sei, und andere Länder hätten erst mit der Zeit nachgezogen. Amerikaner sind einer derartigen Gehirnwäsche unterzogen worden, daß sie jetzt automatisch annehmen, sobald jemand verhaftet werde sei er auch schuldig, solange er nicht das Gegebteil beweise. Ein gutes Beispiel dafür ist der Typ, der des Bombenanschlages in Atlanta während der Olympischen Spiele beschuldigt wurde. Die Medien hatten ihn grundsätzlich verurteilt (ich glaube, sein Name ist Jewel), und ich kann Euch garantieren, hätte er nicht das Glück gehabt, seine Unschuld beweisen zu können bevor es zu einer Gerichtsverhandlung kam, er säße genau jetzt und für den Rest seines Lebens im Gefängnis.

Der Grund dafür, daß finanzielle Fragen eine so große Rolle dabei spielen, ob man in der Lage ist, sich zu verteidigen, liegt darin, daß den Staatsanwälten (wie ich schon sagte) unbegrenzte Mittel zur Verfügung stehen. Sie haben Hunderte von Detektiven und Ermittlungsbeamten, sie haben Zugang zu jedem gewünschten wissenschaftlichen Labor, sie haben Anwälte, die die Fälle bearbeiten können, und sie haben unbegrenzt Geld, um jeden juristischen Fachmann zu bezahlen. Diese Liste kann viel weiter geführt werden, aber ich bin sicher, Ihr habt eine Vorstellung bekommen. Der Angeklagte dagegen hat einen vom Gericht eingesetzten Verteidiger, der wahrscheinlich schon eine Anzahl von Fällen zu bearbeiten hat. Der Anwalt muß sich an das Gericht wenden, um Geld für einen Ermittler zu bekommen, um für jede wissenschaftliche Arbeit zu bezahlen, die zur Überprüfung der Beweismittel nötig sein kann, welche die Staatsanwaltschaft vorlegt. Es liegt im Ermessen des Richters, Geld für die Verteidigung zu bewilligen oder abzulehnen. Wenn Dein Verteidigungsanwalt also ein gut Teil seiner Energie darauf verwendet, auch nur das notwendige Geld für seine Arbeit zu bekommen, dann geht dies zu Lasten der Zeit, die er an Deiner Verteidigung arbeiten könnte oder an einem seiner anderen Fälle.

Das Problem mit einem vom Gericht bestimmten Rechtsanwalt liegt darin, daß Du niemals weißt, ob er gut ist oder nicht ehe es zu spät ist, etwas in dieser Sache zu unternehmen, außer Du weißt persönlich Bescheid, wie das Justizsystem funktioniert. Es gibt einen berüchtigten Anwalt, von dem sieben ehemalige Klienten hier im Todestrakt sitzen. Nach dem siebten Fall waren sogar die Gerichte hinreichend peinlich berührt , daß sie endlich aufhörten, diesem Anwalt Klienten zuzuweisen, nicht wegen der Tatsache, daß er sieben ehemalige Klienten im Todestrakt hat, sondern weil er so offensichtlich inkompetent war, daß das Gericht nicht damit durchkam, ihm weitere Todesstrafen-Fälle zu übertragen. Im Durchschnitt benötigte er eine Woche für die Auswahl der Geschworenen, die Darstellung des Falles durch den Staatsanwalt und die Verurteilung des Angeklagten, ohne das irgendeine Verteidigung für ihn stattgefunden hätte. Das bedeutet eine einzige Woche von der Auswahl der Jury bis zum Schuldspruch und zum Todesurteil (wenn Ihr aufgepaßt habt, dann wißt Ihr, daß das zwei verschiedene Verhandlungen in einer Woche sind), wo es sogar in den minderen Fällen nicht unüblich ist, daß eine Verhandlung mehrere Wochen dauert, und das bei Bagatelldelikten.

Die Staatsanwälte wenden eine Menge Tricks an, um zu versuchen auch die Verteidiger hereinzulegen. Ein Staatsanwalt war bekannt dafür, daß er die Zeugen der Verteidigung verhaften ließ, sobald sie aus dem Gerichtssaal kamen, nachdem sie ihre Aussage für die Verteidigung beendet hatten. Dieser Staatsanwalt sorgte dabei dafür, daß die anderen Zeugen der Verteidigung diese Verhaftungen sahen. Nach drei oder vier Verhaftungen pflegten die Zeugen das Gericht zu verlassen und sich zu weigern, für die Verteidigung auszusagen. Schließlich erteilte der Oberste Gerichtshof von Kalifornien diesem Staatsanwalt eine Rüge. Der Staatsanwalt war stolz darauf, er pflegte damit anzugeben und Witz darüber zu machen. Das Traurige dabei ist, daß er in der Anklagebehörde befördert wurde, wo er nun neue Staatsanwälte kontrolliert und schult.

Bis später,
Dean