29-05-1995

Kolumne 1
Hallo, mein Name ist Dean ich sitze hier in meiner Zelle im
Todestrakt des Gefängnisses von San Quentin. Ich habe nicht vor,
meinen Fall zu diskutieren, da dies nicht der Grund ist, warum
ich mich einverstanden erklärt habe, diese Kolumnen zu
schreiben. Es wäre mir unangenehm, wenn ich dieses Forum dazu
benützen würde, Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen, es geht hier
nicht um mich persönlich. Was ich für wichtig halte, liegt
darin, Euch einen Blickwinkel auf die Todesstrafe, das
(Un-)Rechtssystem und das Leben im Gefängnis zu bieten, und
hoffentlich kann ich eine einigermaßen verständliche
Schilderung davon geben, wie alles dies aus meiner Situation
heraus aussieht. Ihr habt alle gehört, was die Medien, Politiker
und andere, die dabei ihre eigenen Ziele verfolgen, über
Kriminalität und die Todesstrafe zu sagen haben, vielleicht kann
ich eine Art Gegengewicht dazu bieten.
Obwohl ich gesagt habe, daß ich nicht vorhabe, meinen Fall zu
diskutieren, möchte ich doch sagen, daß ich die Straftat
vehement bestreite, wegen der ich hier im Todestrakt sitze. Ich
erwähne dies , weil ich das Gefühl habe, es wäre wichtig für
Euch, dies zu wissen, da darin der Grund für meine Einstellungen
und Meinungen liegt über die ich reden werde.
Nachdem Alex und ich über das Schreiben dieser Kolumne
gesprochen hatten, legte ich den Hörer auf und begann zu
erkennen und mich zu fragen , worauf ich mich eingelassen hatte.
Der Versuch einer Erklärung, wie es ist, im Todestrakt zu sein,
im Gerichtssystem um sein Leben zu kämpfen und gleichzeitig zu
versuchen, dabei nicht verrückt zu werden . . . Eine der
Schwierigkeiten besteht darin, sich den Sinn für Realität zu
erhalten und sich nicht durch den unglaublichen Druck und den
Streß, dem man ausgesetzt ist, überwältigen zu lassen - aber
auch nur in dem Versuch, hier drinnen am Leben zu bleiben und zu
überleben.
Es gibt welche, die aufgeben und Selbstmord begehen, andere
verlieren langsam den Verstand und enden in medikamentöser
Behandlung. Das Gefängnis fühlt sich bis zu dem Punkt
verantwortlich, daß jeder hier von Tag zu Tag funktioniert bis
er hingerichtet wird, und Psychopharmaka helfen dieses Ziel zu
erreichen.
Nachdem ich mit Ed gesprochen hatte, hatte ich keine Ahnung,
wo ich anfangen sollte, was ich sagen wollte, und wie ich es
sagen sollte. Es sind so viele treibende Kräfte beteiligt, daß
ich ernstlich bezweifle, daß es möglich ist, adäquat zu
erklären, wie es ist. Es ist ähnlich, als ob jemand aus einem
anderen Land Euch fragte, wie Amerika ist. Man kann grobe Umrisse
geben, aber wenn es um die Nuancen geht, die an den Kern der
Dinge gehen, dann kann man keine Worte finden, die der Sache
gerecht werden. Das Beste, was ich tun kann, ist über einige
meiner Erfahrungen und Beobachtungen zu sprechen und Euch daraus
Eure eigenen Schlüsse ziehen zu lassen.
Ich bin kein Sprecher für irgendjemand anderen im Todestrakt,
noch im Gefängnis oder in den Bezirksgefängnissen, noch ist es
meine Absicht, als solcher zu fungieren. Jeder einzelne in diesem
System hat seine eigenen Gedanken und Meinungen über diese
irrsinnige Umwelt, die wir zu überleben versuchen, und ich
würde mir nicht herausnehmen wollen, für alle diese zu
sprechen. Aber, Ihr habt mich am Hals und, obwohl ich versuchen
werde, objektiv zu bleiben, ich kann es nicht vermeiden, in
vielem. was ich sagen werde, subjektiv zu sein. Ihr könnt das,
was ich berichten werde, mit Vorbehalt sehen; Ihr könnt denken,
daß ich Scheiße rede; oder Ihr könnt mit mir übereinstimmen;
alles, was ich will, ist, daß Ihr Euch anhört, was ich zu sagen
habe, ehe Ihr ein Urteil fällt. Die Medien berichten, daß über
8o% von Euch (bezogen auf die USA; Anmerkung d. Übers.) die
Todesstrafe unterstützen, und da wir alle nach der Pfeife der
Medien zu tanzen scheinen, werde ich annehmen, daß die meisten
von Euch mir oder den anderen im Todestrakt nicht wohlwollend
gesinnt sind. Alles, worum ich Euch bitte, ist
Aufgeschlossenheit.
Es gibt die Meinung, Leute im Todestrakt seien geifernde
Tiere, die in einem Käfig gehalten und so schnell, wie irgend
machbar, hingerichtet werden sollten. Ich habe in Talkshows sogar
gehört, wie Leute verlangt haben, einen elektrischen Stuhl
gleich im Gerichtssaal aufzustellen, und sobald das Urteil
gefällt ist, schnallt den Kerl fest und bratet ihn. Was macht es
schon, daß das Sytem Fehler macht, was bedeutet der Tod von ein
paar Unschuldigen, solange Ihr die anderen durch das Verfahren
los werdet. Aber die meisten im Todestrakt sind ziemlich normal.
Sicher, es gibt diejenigen,hier, denen ich niemals meinen Rücken
zuwenden würde. Es gibt hier ein paar Leute, neben denen
Hannibal Lechter (aus dem Film "das Schweigen der
Lämmer" ; Anm. d. Übers.) ein netter Kerl zu sein
scheint. Aber, wie gesagt, die meisten hier sind keine geifernden
Verrückten oder kaltblütige Mörder - aber es gibt ein paar,
die in diese Kategorie passen.
Wenn jemand mir Fragen stellen möchte, werde ich mein bestes
tun sie zu beantworten. Ihr könnt sie an die e-mail-Adresse auf
dieser Seite schicken. Es dauert ungefähr 3-4 Wochen nachdem die
Post im Gefängnis ankommt, ehe ich sie erhalte. Seid daher
geduldig, und ich werde mein bestes tun, um Euch zu erreichen.
Ich werde nicht über meinen Fall, mein persönliches Leben oder
irgend etwas reden, das als Eigennutz interpretiert werden
könnte. Ich werde mich freuen, über die Kolumnen, über das
Leben hier drin oder verwandte Themen zu sprechen, wenn Ihr dazu
Fragen stellen möchtet. Nur verliert nicht den Mut, wenn es eine
Weile dauert. Und, falls ich zu viele Fragen erhalte, werde ich
nicht auf alle eingehen können. Das klingt ein bißchen
anmaßend, aber ich habe nur versucht, alle Möglichkeiten zu
berücksichtigen.
Noch ein Letztes ehe ich gehe. Ich bin nicht paranoid, wenn
ich sage, daß ich diese Kolumne machen werde, solange ich kann,
aber ich habe keinerlei Zweifel, daß das Gefängnis mich dafür
schikanieren wird. Und sie stellen ein paar wirklich schmutzige
Sachen mit den Leuten an, auf die sie sauer sind. Sie hassen es,
wenn jemand darüber spricht, wie es hier drinnen ist oder wie
das System funktioniert, so könnten sie sich an mich heranmachen
und mir etwas anhängen, um die Verbindung zu unterbrechen. Falls
dies geschieht, wird Ed in der Lage sein, Euch zu informieren. Es
ist nicht so, daß ich vorhabe irgend jemanden oder etwas falsch
darzustellen . . . das ist nicht nötig, da die Wahrheit
ausreicht. Ich werde schreiben, solange ich kann, und ich freue
mich darauf, mit Euch allen "sprechen" zu
können.
Frieden,
Dean