Kolumne 7
Da bin ich wieder - zumindest bis dieses Farbband zu Ende ist.
Ich konnte ein paar Monate lang nicht schreiben, weil meine
spärlichen Farbbänder für die Schreibmaschine verschwunden
waren. Ich habe Briefmarken gegen ein halbvolles Farbband
eingetauscht, hoffentlich ist es genug, um das hier zu tippen.
Farbbänder sind schwer zu bekommen und ich weiß nicht, wie lang
es geht, bis ich neue bekomme . . . vor allem, weil ich im Moment
nicht das Geld habe, welche zu kaufen. Ich werde schreiben so oft
ich kann oder wenn ich kann.
Ich wollte etwas über Freundschaft sagen. Als ich in der
wirklichen Welt lebte, war die Vorstellung von Freundschaft eher
ein bißchen unklar, für mich, bis auf ein paar Ausnahmen. Es
gab Dutzende von Leuten, die ich für Freunde hielt, aber
diejenigen, die ich als enge Freunde betrachtete, konnte ich an
einer Hand abzählen.
Das alte Sprichwort, daß du nie weißt, wer deine Freunde
sind, bis du sie brauchst, trifft nie mehr zu, als wenn du ins
Gefängnis kommst, und vor allem, wenn du in den Todestrakt
gesteckt wirst. Es öffnete mir wirklich die Augen, als ich
inhaftiert wurde, Leute, die ich für Freunde hielt, schienen
sich gar nicht schnell genug von mir distanzieren zu können. Es
gab viele, von denen ich nicht mehr erwartet hatte, aber andere,
mit denen mich besondere Erlebnisse verbanden und besondere
Momente, bemühten sich nicht mal, mir eine Postkarte zu
schicken, um mir alles Gute zu wünschen und Worte der
Unterstützung zu finden, um mich wissen zu lassen, daß sie
hofften, daß ich gut aus diesem Schlamassel raus komme. Das war
etwas schmerzlich für mich, vor allem, weil ich angenommen
hatte, daß sie wüßten, daß ich nicht der Mensch war, der
fähig ist, das zu tun, wofür ich angeklagt wurde. Die Tatsache,
daß ich für ein paar von ihnen dagewesen war, wenn sie schwere
Zeiten durchstanden, machte es noch enttäuschender für mich,
als sie mir die kalte Schulter zeigten. Da verstand ich zum
ersten Mal das amerikanische Phänomen der eigennützigen
Freundschaft. Das war wirklich eine lehrreiche Erfahrung für
mich.
Andererseits erfuhr ich auch, daß ich ein Mensch bin, der
sich wirklich glücklich schätzen kann. Diejenigen, die ich als
wirklich enge Freunde betrachtete, waren alle für mich da, bis
auf einen. Diejenigen, die da waren, versuchten, mir so weit wie
irgend möglich zu helfen. Unglücklicherweise haben sich - über
einen Zeitraum von 10 Jahren - ein paar von ihnen auch losgesagt;
ich bin aber sehr glücklich darüber, immer noch die Freunde zu
haben, die zu mir halten. Es war nicht leicht für sie, und ich
weiß, daß meine Situation auch ihnen viel Leid bereitet hat.
Auf die Gefahr hin, rührselig zu klingen: ich wüßte nicht,
was ich ohne diese Freunde gemacht hätte. Es ist ziemlich
erniedrigend für mich, wenn ich daran denke, was diese Leute
für mich durchgemacht haben. Es war nicht einfach für sie, und
ich nehme an, daß es keine Hallmarkkarte gibt, die die
Dankbarkeit und Liebe ausdrücken könnte, die ich für diese
Leute empfinde.
Spät nachts, wenn es hier im Trakt etwas ruhiger ist, werde
ich hier im Dunkeln liegen und an meine Freunde denken. Ich sehe
in meiner Vorstellung die guten Zeiten, die wir zusammen hatten,
wieder und wieder vor mir. Ich frage mich, was jetzt in ihrem
Leben passiert, ob sie glücklich sind und ob sie an mich denken.
Bei denen, die mich im Stich ließen, als ich sie gebraucht
hätte, frage ich mich, was sie sagen würden, wenn ich sie
fragen könnte, warum sie mir den Rücken kehrten, als ich sie am
meisten brauchte. Und den Freunden gegenüber, die für mich da
waren, frage ich mich, ob ich ihnen je klarmachen kann, wie leid
es mir tut, daß sie diesem Wahnsinn ausgesetzt werden mußten,
und das Leid, das sie im Lauf der Zeit ertragen mußten. Wie
könnte ich ihnen je für ihre Liebe und Unterstützung danken?
Das gehört zu den eigenartigen Dingen, wenn man im Dunkeln liegt
und sich über manche Sachen wundert, man bekommt Übung darin,
sich darüber klar zu werden, wie man einen Weg findet, das
auszudrücken, was man fühlt und denkt.
Schließlich frage ich mich, was ich diesen Freunden sagen
werde, die mit mir all die Zeit ausgehalten haben, wenn und falls
die Zeit für meine Hinrichtung kommt. Von Zeit zu Zeit, wenn ich
hier im Dunkeln liege, versuche ich, einen letzten Brief von mir
an diese Freunde zu entwerfen. In den Briefen, die ich für jeden
von ihnen entwerfe, versuche ich, Worte zu finden, um ihnen zu
sagen, was in meinem Herzen vorgeht, Dinge, die ich sagen kann,
die ihnen helfen, mit meinem Tod umzugehen , und wie sehr ich
möchte, daß sie dadurch nicht verletzt werden. Es ist nicht
angenehm, darüber nachzudenken, aber ich denke, daß sie
zumindest soviel verdient haben, nach allem, was sie deshalb
durchgemacht haben. Ich bin gewöhnlich Optimist, aber ich bin
auch Realist und muß alle Möglichkeiten in Betracht ziehen.
Deshalb muß ich darüber nachdenken, einen Brief an Freunde zu
entwerfen, für den Fall, daß der Staat mich tötet.
Ich habe auch einige Freunde gefunden, seit ich hier drin bin.
Freunde draußen in der realen Welt, die existiert. Ich habe ein
paar davon persönlich getroffen, aber die meisten von ihnen sind
ausschließlich Freunde per Post. Wenn ich ihnen so begegne, wird
ihnen klar, wie mein Schicksal aussehen könnte, und sie bringen
mir eine Menge Unterstützung entgegen. Im Laufe der Jahre haben
sich die, die nur aus Neugier geschrieben haben, selbst
ausgesondert, aber die, die dabei bleiben, sind meistens
überdurchschnittliche Menschen, soweit es emotionale und mentale
Stärke betrifft. Ich profitiere sehr von ihrer Stärke, und es
hilft mir sehr dabei, mit dem Mist fertig zu werden, wenn es
manchmal besonders schlimm wird. Ironischerweise sind viele
dieser außergewöhnlichen Leute aus Übersee. Ich nehme an, daß
Menschen in anderen Ländern nicht so blutrünstig sind wie
Amerikaner. Manchmal verblüfft es mich, wie viel Liebe und
Mitgefühl diese Leute in ihren Herzen haben, vor allem für
jemanden, den sie noch nie persönlich getroffen haben. Ich
erzähle ihnen von der Haltung der Amerikaner gegenüber Leuten,
die im Gefängnis sind im allgemeinen, und solchen im Todestrakt
im besonderen, und sie können es einfach nicht fassen. Unsere
Form der Justiz ist etwas, das für sie unbegreiflich ist, und
ein paar von ihnen haben sogar angenommen, daß ich übertreibe,
was ich ihnen über unsere Gerichte, Cops und Gefängnisse
erzählte. Sie scheinen nicht in vollem Umfang verstehen zu
können, daß es überhaupt nicht nötig ist, bei dem was ich
ihnen erzähle, zu übertreiben, die Wahrheit ist mehr als genug.
Was Freundschaften mit anderen im Todestrakt angeht, so gibt
es hier niemanden, den ich als Freund bezeichnen würde. Ich
neige dazu, für mich zu bleiben, das ist die eine Sache, aber
früher gab es zwei Leute, die ich als Freunde betrachtet habe.
Einer von ihnen wurde von einem anderen Insassen erstochen, und
zu dem anderen habe ich den Kontakt verloren. Es gibt Leute hier
drin, die Freundschaften aufbauen, aber ich habe nicht das
geringste Bedürfnis, das zu tun. Ich habe Bekannte, die ich sehr
mag, aber ich ziehe es vor, es dabei zu belassen. Irgendwie zieht
mich die Vorstellung, eine Freundschaft mit jemandem aufzubauen,
der eines Tages in die Gaskammer geht, nicht an. Es ist
einfacher, jeden hier im Todestrakt auf Armeslänge von sich fern
zu halten.
Gut, ich habe jetzt lange genug geschwätzt . . . und mir ist
dabei das Farbband nicht ausgegangen. Ich hoffe, daß es nicht so
lange dauert, bis ich wieder zu Euch sprechen kann.
Bis später,
Dean